Den vier hessischen SPD-Landtagsabgeordneten, die Andrea Ypsilanti nicht wählen möchten, werden allerhand Vorwürfe gemacht. Charakterlos, unmoralisch sind die Bezeichnungen aus der eigenen Partei; „politische Verkommenheit“ erkennt die Grünen-Vorsitzende Claudia Roth im Handeln von Jürgen Walter, Dagmar Metzger, Silke Tesch und Carmen Everts. Die Kommentare aus der Linkspartei sind unwürdig einer demokratischen Partei… ach, hoppala, hier gibt es garkeinen Widerspruch. Wer in der CDU eine „Stahlhelm-Fraktion“ sieht, dem sollte keine politische Verantwortung zuteil werden, erst recht nicht als „duldender“ Teil einer „nicht“-Koalition.
Die Affäre um eine Regierungsbildung unter einer Frau Ypsilanti strotzt vor Charakterlosigkeit. Angefangen beim Wortbruch, keine Zusammenarbeit mit der Linken einzugehen, über die dann doch erfolgende Koalitionsbildung, endend bei dem Unwillen, diese als solche zu bezeichnen. Einzig bei den vier gescholtenen Abgeordneten der SPD kann ich keine Charakterlosigkeit erkennen, ganz im Gegenteil. Sie waren wohl die einzigen in ihrer Partei, die auf die Bitten ihrer Wähler gehört und sich damit auf ihre Pflicht als Abgeordnete besonnen haben.
Die Kritik, kurzfristig entschieden zu haben und wankelmütig gewesen zu sein, ist sicherlich berechtigt, zumindest bei drei der vier Abgeordneten. Jürgen Walter räumt ein, dass es ein Fehler gewesen sei, Dagmar Metzger nicht von Anfang an beigestanden zu haben. Doch lässt es eine unschöne, oder gar unterdrückte Streitkultur vermuten, wenn sich Angeordnete so kurz vor einer Wahl genötigt sehen, ihre Absicht zu erklären. Denn Charakterlosigkeit und Wankelmütigkeit sind zwei verschiedene Eigenschaften, und es spricht nicht für eine Partei, wenn sie diese in einen Topf wirft. Frau Ypsilanti hat nachweisbar nicht im Interesse der Wähler gehandelt. Sie wollte Roland Koch ablösen, ohne auf Kritik zu hören oder auf Verluste Rücksicht zu nehmen. Offensichtlich hat sich diese Engstirnigkeit auf die ganze hessische SPD übertragen, die nun aus allen Wolken fällt und so tut, als habe es vorher keinen Widerspruch gegeben.
Obendrein: Die Wahl hat noch nicht stattgefunden. Wer sagt überhaupt, dass es bei den vier „Verweigerern“ geblieben wäre? Wer nun nicht mehr öffentlich Frau Ypsilanti die Unterstützung verweigert, den kann man immerhin sehr gut verstehen. Vier SPD-Abgeordnete sind jedenfalls nicht den Weg des geringsten Widerstands gegangen. Hierfür gebührt ihnen Lob, keine Verachtung.